Keine Berichtigungspflicht nach § 14c UStG bei fehlender Gefährdung des Steueraufkommens und Vorliegen von Gutgläubigkeit
FG Köln, Urteil vom 25.07.2023 – 8 K 2452/21 (nicht rechtskräftig, da Revision beim BFH anhängig, Az.: BFH – V R 16/23) und das BMF-Schreiben vom 27.02.2024 – III C 2 – S 7282/19/10001:002 zu den Folgen aus den Urteilen des BFH vom 13.12.2018 – V R 4/18 und des EuGH-Urteils vom 08.12.2022 – C-378/21
Der EuGH hat in der Rechtssache P#GmbH (EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – C-378/21) festgestellt, dass ein Rechnungsaussteller die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer nicht schuldet, wenn er die Rechnungen ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher ausgestellt hat.
Der Sinn und Zweck von Art. 203 MwStSystRL ist, einer Gefährdung des Steueraufkommens durch den unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis entgegenzuwirken.
Wenn aber die Gefahr eines zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerabzugs nicht vorliegt, weil die Rechnungsempfänger von vornherein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, besteht auch keine abstrakte Gefährdung für das Steueraufkommen. Eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL scheidet dann aus.
Daher ist auch eine Berichtigung der Rechnungen oder die Rückzahlung des zu viel vereinnahmten Steuerbetrages nicht erforderlich.
Nun entschied das FG Köln in einem aktuellen Urteil (FG Köln, Urteil vom 25.07.2023 – 8 K 2452/21), dass beim Rechnungsaussteller keine Berichtigungspflicht nach § 14c UStG bei fehlender Gefährdung des Steueraufkommens und beim Vorliegen von Gutgläubigkeit bestehe.
Das FG Köln bezog sich v.a. auf o.g. EuGH-Rspr. und wendete das Unionsrecht unmittelbar zugunsten des Steuerpflichtigen an. Nach Auffassung des FG Köln kommen § 14c Abs. 1 UStG bzw. Art. 203 MwStSystRL nicht zur Anwendung, wenn das Steueraufkommen nicht gefährdet ist.
Dass – anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall – die Rechnungsempfänger keine Privatpersonen waren, sondern andere Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, rechtfertigt nach Auffassung des FG Köln kein anderes Ergebnis.
Das FG Köln stellt bei Rechnungsempfängern nicht nur auf Endverbraucher ab, sondern auch auf alle Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
Die Leitsätze des Urteils des FG Köln lauten wie folgt:
1. Eine Steuerschuld nach § 14c UStG kann nicht entstehen, wenn feststeht, dass durch den unberechtigten oder unrichtigen Steuerausweis in einer Rechnung keine Steuergefährdung eintreten kann. Der Aussteller der Rechnung muss daher in diesen Fällen weder die Rechnung berichtigen noch den zu viel vereinnahmten Steuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahlen.
2. Eine Gefährdung des Steueraufkommens ist ausgeschlossen, wenn Rechnungsempfänger Privatpersonen sind oder andere Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
3. Insbesondere, wenn eine Korrektur faktisch nicht möglich ist, weil dem Rechnungsaussteller die Rechnungsadressaten namentlich nicht bekannt sind, ist auf der Grundlage des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer die Vorschrift des Art. 203 MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass die Berichtigung der Steuerschuld eines nachweislich gutgläubigen Rechnungsausstellers nicht von der Korrektur seiner unrichtigen Rechnungen und der Rückzahlung des zu viel vereinnahmten Steuerbetrages abhängt.
Nun äußert sich das BMF in seinem aktuellen Schreiben vom 27.02.2024 – III C 2 – S 7282/19/10001:002 zu der oben skizzierten Problematik (siehe folgenden Link).
BMF-Schreiben vom 27.02.2024
Das Wichtige in Kürze aus dem o.g. BMF-Schreiben:
Der BFH hat mit Urteil vom 13. Dezember 2018 – V R 4/18 (BStBl II 2024 S. xxx) entschieden, dass die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG auch bei einer Rechnungserteilung an einen Nichtunternehmer entstehe.
Demgegenüber hat der EuGH mit Urteil vom 8. Dezember 2022, C-378/21 (siehe oben das o.g. EuGH-Urteil), Finanzamt Österreich, entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der eine Dienstleistung erbracht und in seiner Rechnung einen Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat, der auf der Grundlage eines falschen Steuersatzes berechnet wurde, den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht nach Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG schuldet, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar.
Das BFH-Urteil V R 4/18 ist durch das EuGH-Urteil C-378/21 überholt und insoweit nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.
Soweit nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils C-378/21 aufgrund einer Rechnungserteilung an Endverbraucher keine Steuer nach § 14c UStG entstanden ist, bedarf es aus umsatzsteuerlicher Sicht auch keiner Berichtigung des fraglichen Steuerbetrages.
Das EuGH-Urteil C-378/21 kann daher nicht auf Fälle übertragen werden, in denen die fragliche Rechnung an einen Unternehmer für dessen unternehmerischen Bereich erteilt worden ist. Dabei ist es für die Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG nicht ausschlaggebend, ob und ggf. inwieweit tatsächlich ein Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist. Daher entsteht die Steuer nach § 14c UStG auch dann, wenn die Rechnung z. B. an einen Kleinunternehmer, einen pauschalierenden Land- und Forstwirt oder einen Unternehmer mit Ausgangsumsätzen, die den Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausschließen, erteilt worden ist.
Eigene Einordnung:
Das BMF folgt den Grundsätzen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache P#GmbH (siehe oben das EuGH-Urteil) und wendet seine Rechtsauffassung nur explizit auf Endverbraucher als Rechnungsempfänger an. Auf andere Personen, die auch wie Endverbraucher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, wendet das BMF die Rechtsprechung des EuGH nicht an. Abzuwarten ist daher die Entscheidung des V. Senats des BFH im anhängigen Revisionsverfahren.
Bei ähnlicher Problematik ist die Finanzverwaltung ausdrücklich auf das oben genannte noch nicht rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts Köln hinzuweisen und es sind unbedingt in Fällen der Einspruchsverfahren Anträge nach § 363 AO auf aus Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH zu stellen. Das oben genannte BMF-Schreiben bindet mangels dessen Gesetzeswirkung nur die Finanzverwaltung und nicht die Steuerpflichtigen und Finanzgerichte.
Zum Sachverhalt (FG Köln, Urteil vom 25.07.2023 – 8 K 2452/21):
Der Steuerpflichtige als Klägerin rechnete aufgrund einer verbindlichen Auskunft des Finanzamtes teilweise PZA-Leistungen (entgegen ihrer eigenen rechtlichen Sichtweise) mit gesondertem Umsatzsteuerausweis in den Rechnungen an ihre Kunden ab. Bei den PZA-Leistungen handelte es sich um Produkt förmliche Zustellung“ (davor und im Folgenden: PZA-Leistungen) als Post-Universaldienstleistung nach § 4 Nr. 11b UStG.
Später erkannte das Finanzamt einen Teil dieser PZA-Leistungen als steuerbefreit an und setzte insoweit Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG fest. Die Klägerin erbrachte ihre Leistungen weit überwiegend an Kunden, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (Verwaltungsbehörden, Gerichte oder Unternehmer (Schiedspersonen), die unter § 4 Nr. 26 UStG fallen).
Lediglich eine sehr geringe Zahl an Leistungen, für die ein gesonderter Steuerausweis in den Rechnungen erfolgte, erbrachte die Klägerin an vorsteuerabzugsberechtigte Kunden. Die Klägerin berief sich unmittelbar auf das Unionsrecht und trug vor, dass ihr ein Erstattungsanspruch zustehe. Zum einen gäbe es in den meisten Fällen keine Steuergefährdung und zum anderen habe sie gutgläubig gehandelt.
Nach Auffassung des FG Köln seien die PZA-Leistungen steuerbefreit: Die Klage ist begründet. Die PZA-Leistungen der Klägerin sind nach § 4 Nr. 11b UStG steuerbefreit. Soweit die Klägerin die steuerbefreiten Leistungen mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet hat, führt dies nicht zu einer Steuerschuld nach § 14c UStG bzw. Art. 203 MwStSystRL. Der Aussteller der Rechnung muss daher in diesen Fällen weder die Rechnung berichtigen noch den zu viel vereinnahmten Steuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahlen.
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